Ein überfälliges A-Rennen
Das Wochenende in Innsbruck war sehr schön, aber es war auch ein Wochenende der Zerrissenheit. Man hätte die Uhr danach stellen können, wann in mir wieder die Sehnsucht nach den Bergen erwacht.
Eigentlich könnte ich mich darüber freuen, das Timing ist schließlich nahezu perfekt. Der Schnee ist weg, das Wetter ist fantastisch für lange Tage auf den Trails, mit Sierre-Zinal ist mein Hauptrennen für diesen Sommer eingebucht und ein nagelneuer Trailschuh steht originalverpackt zum Testen bereit. Wäre da nicht noch diese eine Kleinigkeit... Der Hannover-Marathon.
Jeder Trainingszyklus hat seinen Abschluss. Ein sogenanntes A-Rennen. A steht für "wichtig", "hohe Priorität" und "Hauptfokus". Im Prinzip läuft das gesamte Marathontraining auf diesen einen Tag hinaus. So ist es gedacht. So ist es richtig. Aber so empfinde ich es nicht.
Die Steuererklärung
Im Moment fühlt sich der Hannover Marathon an wie ein lästiges To Do, das man noch abhaken muss bevor man endlich das machen kann worauf man wirklich Lust hat. Lästig, aber gleichzeitig gewaltig gross. Wie eine Steuererklärung.
Okay, das war gemein, das nehme ich zurück. Doch irgendwie stimmt der Vergleich ein wenig. Es geht darum, einen sauberen Abschluss hinzulegen. Einen, bei dem man nicht schludern sollte, weil sonst ein verzerrtes Bild der geleisteten Arbeit entsteht. Am Ende will ich alles sauber in den Büchern haben, bevor ich das nächste Kapitel aufschlage. Das möchte vor allem der Spießer in mir.
Gründe nicht hungrig zu sein
Es gibt viele Gründe, warum für Hannover kein richtiger Hunger aufkommt. Ganz sicher liegt es an Rodgau, meinem Marathon-Frühchen im Januar. Die Karotte vor der Nase, der ich jahrelang hinterhergejagt bin, der Marathon unter 3 Stunden, war mit einem Schlag weg.
Der Marathon war auf einmal nicht mehr der (läufer-)lebensverändernde Traum, sondern nur noch das, was er eigentlich schon immer war: Ein verdammt harter, verdammt langer Lauf.
Der Marathon ist einfach nur ein verdammt harter, verdammt langer Lauf
Ein anderer Grund warum sich der Hannover Marathon im Moment eher wie eine Pflichtübung anfühlt, ist eigentlich ein schöner: Ich liebe das Marathon-Training. Den Prozess. Die tägliche Arbeit, die Struktur und den Halt, den sie mir gibt. Dazu kommen die unzähligen Mikroerfolge, sobald die Form in die Höhe schießt. Ich habe mich über Dutzende von erfolgreichen Einheiten gefreut, über schnelle Intervalle, kraftstrotzende Longruns und sogar über eine Halbmarathon-PB bei einem Testwettkampf (Stichwort: "C-Rennen"). Eigentlich reicht mir das. Ich habe im Prinzip alles bekommen, was ich mir von diesem Trainingsblock erhofft hatte.
Der dritte Grund warum ich Hannover mit gemischten Gefühlen entgegensehe ist, dass das Asphalt-Maß einfach voll ist. Abgesehen von einem Verletzungs-Comeback, bei dem ich drei Monate nur bergauf laufen durfte, trainiere ich seit fast eineinhalb Jahren auf der Straße. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht und das "Dranbleiben" hat sich für mich definitiv ausgezahlt, aber die letzten Laufeinheiten haben mir deutlich vor Augen geführt, dass ich nun etwas anderes möchte.
Es zu Ende bringen
Ich habe mir gerade noch einmal die vorherigen Zeilen durchgelesen und kann bestätigen, dass sich das viel negativer anhört, als es gemeint ist.
Es ist ein großes Privileg, ein so umfangreiches und intensives Training unverletzt und gesund überstanden zu haben. Am Sonntag werde ich also zuversichtlich und konzentriert an der Startlinie des Hannover Marathons stehen und das tun, was ich (fast) immer tue, wenn ich eine Startnummer auf dem T-Shirt habe.
Ich werde so schnell und so clever laufen, wie es mir an diesem Tag möglich ist.
Und wer weiß, vielleicht holt mich bis dahin der Hunger ein, den ich jetzt noch nicht habe. Wenn nicht, bin ich trotzdem dankbar. Und ob es ein gutes oder schlechtes Rennen wird, hängt sowieso von so vielen anderen Faktoren ab.
In diesem Sinne: Toe the line & Run proud.
Everything not Running – Ok, vielleicht ein Bisschen
Vor kurzem habe ich meine Marathon-Geschichte aufgeschrieben. Vom ersten Finish, über mehrere gescheiterte Versuche, den Marathon unter drei Stunden zu laufen, bis hin zum magischen Moment in Rodgau, als ich es unerwartet geschafft habe.
In diesem Artikel habe ich auch die Menschen aufgelistet, die mich in Bezug auf den Marathon stark geprägt haben. Einer davon ist Martin Grüning.
Martin hat mich zwischen 2019 und 2021 trainiert, wofür ich ihm bis heute unendlich dankbar bin. Mit ihm habe ich zwei Marathon-Trainingszyklen absolviert, eine Vorbereitung auf den 10km-Lauf und eine auf einen Halbmarathon. Auch wenn wir damals gemeinsam mein großes Ziel, den Sub-3 Marathon, nicht erreicht haben, habe ich zu keiner anderen Zeit in meinem Läuferleben so viel über den Straßenlauf gelernt und verinnerlicht.
"Verinnerlicht" trifft es sehr gut. Schließlich sind die meisten Wahrheiten über das Laufen nicht kompliziert und doch fällt es uns so schwer, sie zu akzeptieren. Martins pragmatische Art, aber vor allem sein unglaublicher Erfahrungsschatz haben es mir leicht gemacht, der Läuferwahrheit ins Auge zu sehen.
Ein paar Beispiele was ich von Martin gelernt habe? Gerne.
Laufziele sind individuelle Entscheidungen, die bewusst getroffen werden sollten. Nur wenn du es wirklich willst, ist es ein gutes Laufziel.
Läuferinnen und Läufer (also Menschen) sind keine Roboter. Egal wie gut ein Plan ist oder wie professionell man trainiert, am Ende ist es keine Garantie, dass jedes Rennen ein Erfolg wird.
Es gibt jedoch eine Erfolgsgarantie, und die ist zum Glück ganz einfach: Dranbleiben.
Dafür ist es sinnvoll, einen Plan zu haben. Am besten einen langfristigen.
5. Herzfrequenz- und Pace-Vorgaben können helfen sich im Training zu orientieren, aber es lohnt sich zu lernen, nach Gefühl zu laufen. Mit der Zeit entwickelt man ein gutes Gespür für den eigenen Körper und kann intuitiv zwischen langsamen, lockeren und zügigen Dauerläufen bzw. den entsprechenden Trainingszonen unterscheiden.
Trail- und Straßentraining stehen sich nicht im Weg, wenn man es geschickt angeht.
Etwas hat nicht geklappt? Echt? Schade. Wunden lecken und nach vorne schauen!
Warum ich hier eine Ode auf Martin verfasse? Ganz einfach, er hat ein neues Buch veröffentlicht, in dem er sein Wissen und seine Erfahrungen mit der Welt teilt. Beim Lesen von "So schaffen Sie jedes Laufziel!" (Motorbuch Verlag) kam in mir immer wieder der Wunsch auf, ich hätte ein solches Buch schon zu Beginn meiner Laufkarriere in der Hand gehabt. Es hätte mir viele Rückschläge und Enttäuschungen erspart.
Andererseits möchte ich die Zeit des Scheiterns und der Ignoranz (ja, teilweise war ich wirklich ignorant, was das Laufen betrifft) nicht missen. Genauso wenig wie die Möglichkeit, Martins Unterstützung als Lauftrainer aus erster Hand erfahren zu haben.
Danke Martin! Für die gemeinsame Trainingszeit und dieses Buch.
Hey Chris!
Fühl ich!
Ewigkeiten nur Asphalt und flach zieht sich und ist meist unfassbar eintönig und anstrengend.
Fällt am Sonntag erst mal der Startschuss, vergeht die Zeit wie im Nu und dann ist die Steuererklärung auch schon erledigt!
Wirst du eigentlich allein in Hannover sein, oder hast du Support am Start?
bis denne... mfG Seb.
Schade, dass Hannover dir wie eine lästige Pflicht erscheint, aber nachvollziehbar. Ich hoffe du hast trotzdem Spaß und vielleicht sehe ich dich ja vom Rand der Strecke. Das Buch von Martin schaue ich mir gerne an :)